Autorenarchiv: Pearldiver

OMD: Souvenir

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Wahrscheinlich muss man in den Achtzigern aufgewachsen sein, um es als Kunstfertigkeit zu sehen, wie manche Band dieser Dekade gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst zu balancieren verstand. OMD war so eine Band. Vordergründig fast schon Schlager, dick instrumentiert, schmachtend vorgetragen, sind speziell die Songs ihres Albums Architecture & Morality aus dem Jahr 1982 echte Pop-Perlen, so auch das gegenüber dem Hit “Maid of Orleans” etwas unbekanntere “Souvenir”. Das Video ist so uneindeutig wie die Musik: irgendwo zwischen Bohème-Inszenierung und Filmtrailer, in Bildern schwelgend und bei allem Pathos auch irgendwie distanziert. Verschlüsselte Schönheit mit Kitschfaktor. Eben kein Plastik, sondern Kunst.

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Simple Minds: I Travel

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“Quälst ihn mit Simple Minds bis er weint” heißt es im “Liebeslied” von Jan Delay. Besser kann man das Image der schottischen Bombast-Popper in Musikkreisen abseits des Mainstreams kaum zusammenfassen. Zu Recht, wenn man den überladenen, zugedickten Sound der Band in den vergangenen 20 Jahren im Ohr hat. Zu Unrecht, wenn man etwas weiter zurückblickt, auf die Anfänge der Formation. “I Travel” ist die Hymne dieser Band-Ära. Peitschende Sequencer, hämmernde Drums mit militärischen Handclap-Akzenten, sägende Flächensounds, die sich im harmonischen Muster des Refrains auflösen, um danach mit unverminderter Wucht wieder zurückzuschlagen. Und ein Auftritts-Setting, das in seiner zelebrierten, kühlen Steifheit entfernt an Kraftwerk erinnert.

Der Song ist nicht die einzige Preziose aus der Frühzeit der stets politisch engagierten Band, die 1977 als Punk-Band begonnen hatte und seit 1978 an der Avantgarde-New-Wave-Front unterwegs war. “American”, “Changeling”, “New Gold Dream”, “Upon the Catwalk”: die Liste des wiederentdeckenswerten Simple Minds-Frühwerks ist lang. Gemeinsam mit Big Country und U2 standen sie Anfang der Achtziger für eine neue Art von rockiger Popmusik, die Gitarre und Keyboard kunstvoll zu einer epischen Klangwand verschmolz. Erst 1985, mit dem Welterfolg “Don’t You – Forget About Me”, kam für Simple Minds der Bruch ins allzu Kommerzielle. Der dicke Sound, der sich schon auf “Sparkle in the Rain” angedeutet hatte, aber dort noch kraftvoll und klar war, wurde nun immer breiter, immer breiiger, der Gesang von Jim Kerr immer larmoyanter.

Ich bekenne: auch ich habe seinerzeit mit Simple Minds gequält. Zum Beispiel meinen Bruder. Aber ich wusste, was ich tat, kannte ich doch die grandiosen Ursprünge dieser Reisenden im Popuniversum.

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Savage Progess: My Soul Unwraps Tonight

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Jedes Jahrzehnt hat seinen Höhepunkt. Wenn der Geist der jeweiligen Zeit mit voller Wucht zuschlägt. In den Achtzigern war es 1984. Die Siebziger waren endgültig hinter dem Horizont verschwunden, die Jugendkulturen der Post-Punk-Ära hatten sich ausdifferenziert: New Wave, Psychabillies, Popper, Skins, Mods (fast schon wieder weg) und wie sie alle hießen. Die Oberfläche war zum Objekt des Tiefsinns geworden: Gesamtkunstwerke wie Visage und OMD zelebrierten das Balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Avantgarde. Amateurgeist trifft verkünstelte Kühnheit. Und mit Bands wie Depeche Mode oder Duran Duran waren neue Helden am Start, die den experimentellen Synthpop der frühern Achtziger gekonnt in veritablen Mainstream-Pop transformiert hatten.

Mitten in diese Explosion des Boygroup-Dreiminutensong-Teenie-Pop hinein schallte ein fremdartiger Beschwörungsgesang aus einer anderen Welt: “Heyyy, heyyy”. Klar, “My Soul Unwraps Tonight” von Savage Progress ist aus heutiger Sicht unverkennbar eighties. Aber zu seiner Zeit war es ein wildes Hörerlebnis. So bunt die Bandmitglieder – mit Hintergründen aus Afrika, Israel, Indien und England – so bunt der Sound, so bunt das Video. Irgendwie Worldmusic, irgendwie New Wave, irgendwie undefinierbar. Eine knallige Slap-Bass-Line, gleitende, rhythmische Sounds, der etherische Gesang der Sängerin Glynnis Thomas.

Die Vielfalt der Einflüsse war kein Wunder: Bandgründer Rik Kenton war Anfang der Siebziger kurze Zeit bei Roxy Music tätig gewesen, dem Prototypen der unterkühlten New-Wave-Band. Der Produzent, ein gewisser Rupert Merton, hatte mit Thompson Twins schon kommerzielle Erfolge gehabt, war aber zugleich Produzent der Sonderlinge von Freur (später Underworld). Es gab musikalische Verbindungen zu Prefab Sprout, einem anderem versponnenen Projekt abseits des Popgetöses. Viel Potenzial also für musikalische Überraschungen.

Der Sound machte neugierig auf mehr. Aber es sollte nicht mehr viel kommen. Kurz nach dem Hit war schon wieder Schluss für Savage Progress. Der Song ist fast vergessen, die Formation auch. Höchste Zeit, an diesen eigenartigsten Hit im Pop-Sturm des Jahres 1984 zu erinnern. Bevor diese Perle ganz in den Tiefen der Musikgeschichte verschwindet.

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ELO: Here is the News

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News, der Schmierstoff unserer Zeit. Babylonische Sprachverwirrung, torkelnde Kamerafahrten, Drei-Tage-Bart und riesige Sonnenbrillen. Eine wirre und hektische Welt wird in diesem wunderbaren Popkunstwerk der Rocklegende ELO aufgespannt. Wir schreiben das Jahr 1982, die ersten PCs erobern die Schreibtische, die Welt befindet sich an der Schwelle zur digitalen Revolution. Irgendwie dreht sich alles etwas schneller, ist der Mief der Siebziger abgefallen, auch von der Musik des Electric Light Orchestra aus Großbritannien.

Es war nicht der erste Stilwandel der Formation: 1968 war ELO gegründet worden, wollte das progressive Spätwerk der Beatles fortführen. Der Vorsatz hielt nicht lange: Schon Anfang der Siebziger kam der Schwenk zu kommerzieller Rockmusik, verdickt mit den für die Band typschen orchestralen Elementen. Ende der Siebziger folgte dann ein kurzer Flirt mit dem Sound der Discowelle, bevor Anfang der Achtziger der Synthie-Pop zum Objekt der musikalischen Begierde der Stilhopper wurde.

“Here is the News” ist eine wahre Explosion des digitalen Optimismus. Eingängig die Hookline, treibend die Sequenzer, blechern und straight der Beat – so, wie es sich für die Zeit gehörte. Dazu der unverkennbare Satzgesang, ein Hauch von Siebzigern, der wie ein Schmelz über der kühlen Instrumentierung liegt. Mittendrin eine dramaturgisch präzise eingesetzte Halftempo-Strecke, bevor der Refrain sich zum höchsten Gipfel des Songs aufschwingt. Das ist pure Popkunst.
Ob Les Rhythmes Digitales, Zoot Woman, The Killers oder andere: Für die Apologeten des Achtziger-Revivals mag diese naiv-freche, unbekümmerte und dennoch gekonnten Pop-Perle als Messlatte dienen. Mehr kann Pop nicht bieten.

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Saga: The Flyer

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Ein Mann, ein Gesicht. Gehetzt. Sein Geheimnis muss gefährlich sein. Er rennt wild ins Dunkel der Nacht. Raketeneinschläge verfehlen ihn nur knapp, lassen die Dünenlandschaft aufflackern. Dramatik pur, ernste Mienen, eine kühle Chauffeurin, eine Mission, die wir nicht kennen. Das Video bleibt rätselhaft. Keine Frage: hier sind Helden am Werk, auch hinter den Kulissen. Ja, es sind die Meister der verrätselten Theatralik, der Klangweiten, der virtuos vorgetragenen Dramatik: Saga, die aus Kanada stammenden, herausragenden Vertreter des Progressive Rock der frühen achtziger Jahre.

“The Flyer” – der Flieger heißt ihr Song, einer der fast vergessenen Klassiker der Popgeschichte. Er bietet alles, was den Sound dieser Jahre ausmacht: Klangfülle, Melodiösität, Mut zur Emotion, Dramatik – und eine rätselhafte Story. Wohin fliegt der Held des Clips auf seiner Flucht durch die Dünen? Wer ist ihm auf den Fersen? Egal: “No one’s gonna shoot me down”. Helden eben.

Saga, in den späten Siebzigern gegründet, paaren im 1983 erschienenen “The Flyer” auf perfekter Art den humorlosen, manchmal etwas schrillen Pathos des Soft-Metals à la Meat Loaf mit der melodiösen Virtuosität der “Superbands” ihrer Zeit wie Emerson Lake and Palmer oder Cream. Es ist ein Zweikampf zwischen Rock und elektronischem Pop an der Zeitenwende zum Synthie-Sound der frühen Achtziger. Ein Kampf, der sich in diesem Song mit all seiner Dramatik abspielt: Treibende Riffs bilden den Hintergrund für frei fliegende Gitarrenlinien und Synthesizer-Flächen, in die sich der zeittypisch atemlose, anklagende Gesang hineinflicht. Wer wird siegen: die erdenschwere Gitarre? Oder der glasharte Synthesizer? In Wahrheit lieben sie sich innig. In diesem Song so wild wie kaum sonst in der Geschichte des Pop. Sie wissen, dass sie gemeinsam wahre Klangkathedralen errichten können, in ihrem Kampf um Vorherrschaft, den doch keiner bis heute gewinnen konnte.

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