Tag-Archiv: New Wave

Simple Minds: I Travel

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“Quälst ihn mit Simple Minds bis er weint” heißt es im “Liebeslied” von Jan Delay. Besser kann man das Image der schottischen Bombast-Popper in Musikkreisen abseits des Mainstreams kaum zusammenfassen. Zu Recht, wenn man den überladenen, zugedickten Sound der Band in den vergangenen 20 Jahren im Ohr hat. Zu Unrecht, wenn man etwas weiter zurückblickt, auf die Anfänge der Formation. “I Travel” ist die Hymne dieser Band-Ära. Peitschende Sequencer, hämmernde Drums mit militärischen Handclap-Akzenten, sägende Flächensounds, die sich im harmonischen Muster des Refrains auflösen, um danach mit unverminderter Wucht wieder zurückzuschlagen. Und ein Auftritts-Setting, das in seiner zelebrierten, kühlen Steifheit entfernt an Kraftwerk erinnert.

Der Song ist nicht die einzige Preziose aus der Frühzeit der stets politisch engagierten Band, die 1977 als Punk-Band begonnen hatte und seit 1978 an der Avantgarde-New-Wave-Front unterwegs war. “American”, “Changeling”, “New Gold Dream”, “Upon the Catwalk”: die Liste des wiederentdeckenswerten Simple Minds-Frühwerks ist lang. Gemeinsam mit Big Country und U2 standen sie Anfang der Achtziger für eine neue Art von rockiger Popmusik, die Gitarre und Keyboard kunstvoll zu einer epischen Klangwand verschmolz. Erst 1985, mit dem Welterfolg “Don’t You – Forget About Me”, kam für Simple Minds der Bruch ins allzu Kommerzielle. Der dicke Sound, der sich schon auf “Sparkle in the Rain” angedeutet hatte, aber dort noch kraftvoll und klar war, wurde nun immer breiter, immer breiiger, der Gesang von Jim Kerr immer larmoyanter.

Ich bekenne: auch ich habe seinerzeit mit Simple Minds gequält. Zum Beispiel meinen Bruder. Aber ich wusste, was ich tat, kannte ich doch die grandiosen Ursprünge dieser Reisenden im Popuniversum.

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Savage Progess: My Soul Unwraps Tonight

Written by Pearldiver. Filed under Fast vergessen. Tagged , , . Bookmark the Permalink. Both comments and trackbacks are currently closed.

Jedes Jahrzehnt hat seinen Höhepunkt. Wenn der Geist der jeweiligen Zeit mit voller Wucht zuschlägt. In den Achtzigern war es 1984. Die Siebziger waren endgültig hinter dem Horizont verschwunden, die Jugendkulturen der Post-Punk-Ära hatten sich ausdifferenziert: New Wave, Psychabillies, Popper, Skins, Mods (fast schon wieder weg) und wie sie alle hießen. Die Oberfläche war zum Objekt des Tiefsinns geworden: Gesamtkunstwerke wie Visage und OMD zelebrierten das Balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Avantgarde. Amateurgeist trifft verkünstelte Kühnheit. Und mit Bands wie Depeche Mode oder Duran Duran waren neue Helden am Start, die den experimentellen Synthpop der frühern Achtziger gekonnt in veritablen Mainstream-Pop transformiert hatten.

Mitten in diese Explosion des Boygroup-Dreiminutensong-Teenie-Pop hinein schallte ein fremdartiger Beschwörungsgesang aus einer anderen Welt: “Heyyy, heyyy”. Klar, “My Soul Unwraps Tonight” von Savage Progress ist aus heutiger Sicht unverkennbar eighties. Aber zu seiner Zeit war es ein wildes Hörerlebnis. So bunt die Bandmitglieder – mit Hintergründen aus Afrika, Israel, Indien und England – so bunt der Sound, so bunt das Video. Irgendwie Worldmusic, irgendwie New Wave, irgendwie undefinierbar. Eine knallige Slap-Bass-Line, gleitende, rhythmische Sounds, der etherische Gesang der Sängerin Glynnis Thomas.

Die Vielfalt der Einflüsse war kein Wunder: Bandgründer Rik Kenton war Anfang der Siebziger kurze Zeit bei Roxy Music tätig gewesen, dem Prototypen der unterkühlten New-Wave-Band. Der Produzent, ein gewisser Rupert Merton, hatte mit Thompson Twins schon kommerzielle Erfolge gehabt, war aber zugleich Produzent der Sonderlinge von Freur (später Underworld). Es gab musikalische Verbindungen zu Prefab Sprout, einem anderem versponnenen Projekt abseits des Popgetöses. Viel Potenzial also für musikalische Überraschungen.

Der Sound machte neugierig auf mehr. Aber es sollte nicht mehr viel kommen. Kurz nach dem Hit war schon wieder Schluss für Savage Progress. Der Song ist fast vergessen, die Formation auch. Höchste Zeit, an diesen eigenartigsten Hit im Pop-Sturm des Jahres 1984 zu erinnern. Bevor diese Perle ganz in den Tiefen der Musikgeschichte verschwindet.

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